Zwar der Malerei die Priorität zu lassen, aber dennoch einen Weg in die dritte Dimension zu finden, einen auch für den Betrachter nachvollziehbaren Weg, das ist für Lucie Plaschka seit vielen Jahren ein Ziel. Das Plastische, die Räumlichkeit, sie bestimmen schließlich unser Leben auf dem Planeten. Einer der Königswege der Künstler dahin ist die Skulptur, aus welchem Material auch immer, aber Lucie Plaschka will ja von der Malerei her kommen und bei ihr bleiben und das, zu einem guten Teil, ist die Welt des Papiers. Also hat sie sich eben das, das Papier, ein ihr vertrautes Material, gefügig gemacht. Besser gesagt, es fähig gemacht, eigenständig im Raum zu bestehen.
Sie arbeitet mit allem, was ihr unter die Hände kommt: ordinäres Zeichenpapier, Seidenpapier, Packpapier, gern gewachstes Papier, das eine große Rolle spielt. Aus Papiertüten baut sie ganze Installationen – Tüten faszinieren sie, denn da ist „etwas drin, was man von außen nicht sieht“. Die Paarung des „Drinnen“, das man von außen nicht sieht, aber vielleicht ahnt, mit dem Außen, das das Drinnen verdeckt und versteckt oder seinerseits vielleicht ahnen lässt, das wurde ihr zum faszinierenden Thema. Mit ihren Mänteln ist sie hier einen ganz erstaunlichen Erfahrungsweg gegangen.
Zu den Mäntel kam die Künstlerin, als der Berger Kulturverein den 100. Todestag unseres Märchenkönigs Ludwig II feiern wollte. Was ist das, der Königsmantel? Was steckt drin? Was zeigt er von außen? Ist jemals Deckung von innen und außen da? Bei Ludwig gewiss nicht. Er hatte viel zu verstecken und musste viel nach außen zeigen. Was für eine Metapher, was für ein Archetyp ist denn das überhaupt, der Mantel? Die Hülle, die Verkleidung, letztlich der Schrein, das Hermetische Gehäus? Die eine Seite hat Goethe einmal in einem Aphorismus ausgedrückt: Wer den Mantel der Sorge um sich geschlagen hat, kann nichts mehr sehen, er ist blind. Aber es gilt auch: Jene, die in Sorge sind, dürfen sich der „Schutzmantel-Madonna“ anvertrauen. Es ist oft ein kostbarer, edelsteinbesetzter Ornat, den Maria um sich hat und unter dem armselige Menschen sich drängen. Den „Arm-Seligen“ wird Seligkeit verheißen. Unter dem Mantel kann sich also generell das Gute verbergen. Martin, der ein gutes Herz hatte, zerschnitt seinen Mantel, um einen anderen an dessen Wärme teilhaben zu lassen. Aber immerhin gibt es ebenfalls die dunkle Seite: Mephisto und Drakula sind in Mäntel gewickelt. Öffnen sie ihre Mäntel, droht Gefahr.
Lucie Plaschkas Mäntel sind allesamt aus Papier geformt. Sie gibt ihnen Plastizität mit Kleister, damit es sich kniffen oder runden lässt. Dann wird es bemalt oder auch bemalt und collagiert, wobei oft der Eindruck entsteht, dass sich die Außenhaut schillernd, metallhaft, zeigt, etwa wie Brokat. Eine der Serien von Lucie Plaschkas Mänteln trägt zum größten Teil die Namen von Engeln. Eine Ausnahme im Rahmen einer Ausstellung des Kunstkreises Gräfelfing ist Aurora, die Göttin der Morgenröte, auch die „Rosenfingrige“ genannt, eine zartrosafarbene Figur, die tatsächlich sehr weiblich anmutet. Das lässt sich von den Engelfiguren nicht sagen. Sie sind geschlechtslos, beeindruckend herrscherlich. Allerdings ist ihr Charakter unterschiedlich, so unterschiedlich wie die Aufgaben, die sie haben und denen sie sich stellen, wenn der Mensch sie betend um Hilfe bittet.
Der Engel „Raziel“ hat das Wissen unter sich, wohl nicht nur das, was wir Sachwissen nennen, sondern auch das höhere Wissen vom Geist, der die Materie formt und uns dann erst zu unserem Sachwissen kommen lässt. Kühl bleibt er, unnahbar, Farben sind nur angedeutet. „Maruk“, eine besondere Art von Engel, denn er ist der Herrscher des Pantheon, zeigt sich mit harten schwarzen Strahlen in seinem Inneren. Sie weisen nach oben – man mag sie als Metaphern nehmen für die Härte der geistigen Entwicklung des Menschen nach oben, eben hin zum kosmischen Geist. Maruk war es, der die Titanen vernichtete, um den Menschen zu helfen. „Cerviel“ hat die Stärke des Mutes in sich. Hier ist mehr Farbe erlaubt. Stärke darf im Inneren lodern.
Die meisten Figuren sind schmalhoch, die Ärmel oder Flügel können, wie bei einem „T“, seitlich weggestreckt sein, oder es gibt nur die schmalhohe, fast stelenartige Figur, die sich vom Leib oder von der Herzgegend an langsam nach außen öffnet. Da, in der Gegend des Herzchakra, sitzt das Geheimnis, das der Engel nicht preisgeben muss, sitzen Mitgefühl und Liebe. „Hamied“, Bewahrer der Wunder, hat eine treppenartig gefaltete – beinahe transparent weiße – Mitte. Wer hat schon eine Ahnung vom Wunder? „Ramela“, Engel der Freude, ist eine mitreißend machtvolle Figur in Rot und Silber – das Herzblut und das schillernde Geheimnis.
Mit einigen Arbeiten ist die Künstlerin nun wirklich bei der Stele angelangt, der einfachsten Figur überhaupt. Rot und weiß, bedeutungsvolle Farben, von denen eben schon die Rede war, lässt sie sich verbinden: wir gehören alle zusammen, Geist und Fleisch. Aber wir unterscheiden uns in dem was wir sind – die Farbe - und was wir nach außen zeigen – die ganz eigene, strukturierte Oberfläche. Für Lucie Plaschka war es stets wichtig, sich nicht nur mit der Form und der Farbe zu beschäftigen. Sie hat sich mit vielen Bibelthemen auseinander gesetzt, mit Zahlenmystik, mit Weinrebs schwierigem Buch „Psychologie der Sehnsucht“. Aber das schöpferische Handwerk im eigentlichen Sinne, das Schaffen und Formen mit den Händen, bringt sie immer wieder auf den Boden zurück.
Ingrid Zimmermann